Das Glueck am Weg...

Ein Märchen aus Turkestan, neu erzählt von Gidon Horowitz

Es war einmal ein Mann, der war mit seinem Schicksal nicht zufrieden. "Es ist ungerecht verteilt auf der Welt!" sagte er. "Gott hat es nicht gut eingerichtet. Die einen sind reich und gesund und brauchen nicht zu arbeiten, die anderen aber sind arm und müssen Tag für Tag soviel schuften, dass sie auch noch krank werden. Und ich, ich habe auch zu wenig!" Von Tag zu Tag wurde der Mann unzufriedener, und schließlich beschloss er, zu Gott zu gehen und sich bei ihm zu beschweren. Er machte den Weg ausfindig, und am nächsten Morgen brach er auf.

Der Weg führte ihn zuerst durch einen großen, dichten Wald. In einem Tal inmitten des Waldes begegnete ihm ein Wolf. "Wohin gehst du?" fragte der Wolf. "Ich gehe zu Gott, um mich zu beschweren!" erwiderte der Mann. "Denn er hat es ungerecht eingerichtet auf der Welt: Die einen haben alles, die anderen nichts, und ich habe auch viel zu wenig!"

"Ich auch", meinte der Wolf. "Weißt du, ich lebe nun schon viele Jahre hier in diesem Wald, aber ich habe noch kein einziges Lebewesen zu fressen bekommen, immer nur Wurzeln, Beeren, Pilze oder Kräuter. Vielleicht kann Gott dir sagen, was geschehen muss, damit ich endlich ein Lebewesen zu fressen bekomme?" "Ich will deine Frage mitnehmen", versprach der Mann, und dann setzte er seinen Weg fort.

Er verließ den Wald und kam an einen See. Am Ende des Sees stand eine einsame Hütte, und davor saß eine junge Frau. Sie hatte ein sehr schönes, aber sehr ernstes Gesicht. Als sie den Mann erblickte, fragte sie ihn: "Wohin gehst du?"

"Ich gehe zu Gott, um mich zu beschweren!" antwortete der Mann. "Denn es ist ungerecht verteilt auf der Welt: Die einen haben alles, die anderen nichts, und ich habe auch viel zu wenig!"

"Dann könntest du auch von mir eine Frage mitnehmen", bat sie. "Weißt du, ich lebe hier in diesem Häuschen, und es geht mir eigentlich gut, aber seit ich mich erinnern kann, habe ich noch niemals gelacht. Vielleicht kann Gott dir verraten, was geschehen muss, damit ich lachen lerne." "Ich will deine Frage mitnehmen", versprach der Mann, und dann setzte er seinen Weg fort.

Er stieg nun hinauf ins Gebirge und erreichte schließlich einen breiten, reißenden Bergbach. Er musste eine Weile suchen, bis er eine Stelle fand, wo er den Bach überqueren konnte. Am anderen Ufer stand ein Baum, und der Mann streckte sich aus, um ein wenig im Schatten des Baumes zu rasten. Da hörte er, wie der Wind in den Blättern des Baumes rauschte, und im Rauschen des Windes war es ihm, als spräche der Baum zu ihm. "Du gehst zu Gott", hörte er. "Ja, da hast du ganz recht", antwortete er. "Ich gehe zu Gott, um mich zu beschweren, denn er hat es ungerecht eingerichtet auf der Welt: Die einen haben alles, die anderen nichts, und ich habe auch viel zu wenig!"

"Dann könntest du auch von mir eine Frage mitnehmen", rauschte der Baum. "Weißt du, ich stehe hier ganz nah am Wasser, und ich strecke meine Wurzeln aus, so gut ich es vermag, aber trotzdem bin ich am Verdursten. Vielleicht kann Gott dir verraten, was geschehen muss, damit ich endlich genug Wasser bekomme." "Ich will deine Frage mitnehmen", versprach der Mann, und dann setzte er seinen Weg fort.

Er stieg immer höher hinauf, überquerte einen hohen Pass und kam in ein hoch gelegenes, felsiges Tal. Dort war der Ort, wo er Gott begegnen konnte. Und der Mann war nicht schüchtern, er brachte all seine Anliegen vor. "Du hast es ungerecht eingerichtet auf der Welt!" schimpfte er. "Die einen haben alles und die anderen nichts, und ich habe auch viel zu wenig!" Und Gott hörte ihm geduldig zu. Schließlich vernahm der Mann eine Antwort. "Vielleicht hast du recht", hörte er. "Geh nur heim, da wird dir dein Glück begegnen. Aber sieh zu, dass du es dann auch erkennst."

"Daran wird es gewiss nicht fehlen!" erwiderte der Mann. Dann stellte er noch die Fragen der drei anderen und bekam auch darauf Antwort. Und dann machte er sich rasch auf den Heimweg.

Als er den Bergbach erreichte, rauschte ihm der Baum schon entgegen: "Nun, was hat Gott gesprochen? Wann werde ich endlich genügend Wasser bekommen?" Der Mann antwortete: "Gott hat gesagt, dass unter deinen Wurzeln ein großer Klumpen Gold liegt. Den müsste jemand heraufholen, dann könntest du deine Wurzeln bis zum Wasser strecken."

"Oh", rauschte der Baum, "würdest du das für mich tun? Du könntest das Gold dann auch behalten."

"Weißt du", erwiderte der Mann, "ich möchte ja nicht ungefällig sein, aber Gott hat mir gesagt: ‚Geh heim, da wird dir dein Glück begegnen.' Ich muss mich also beeilen, es nicht zu verpassen, das wirst du sicher verstehen. Du weißt ja jetzt, was dir fehlt. Vielleicht komme ich mal zurück, oder ein anderer kommt vorbei und kann dir helfen. Viel Glück!" Und der Mann überquerte den Bergbach, so schnell er konnte, und lief dann hinunter ins Tal.

Er erreichte die Hütte am See. Die junge Frau erwartete ihn schon. "Nun", fragte sie, "was hat Gott gesprochen? Wann werde ich lachen lernen?" Der Mann antwortete: "Gott hat gesagt, dass du lachen wirst, wenn du einen Mann findest, der dir gefällt und dem du gefällst und mit dem du leben willst."

"Oh!" meinte die junge Frau. Sie schaute ihn an, und ein ganz feines Lächeln umspielte ihren Mund. "Weißt du, du gefällst mir gut, und du hast mir diese Nachricht gebracht. Bleib doch bei mir, und wir werden es gut haben miteinander!"

"Weißt du", erwiderte der Mann und kratzte sich verlegen, "es ist nicht so, dass du mir nicht gefällst. Aber Gott hat mir gesagt: ‚Geh heim, da wird dir dein Glück begegnen.' Du wirst verstehen, dass ich jetzt nicht bei dir bleiben kann. Vielleicht komme ich in einer Woche wieder oder in zwei, oder du findest einen anderen. Du weißt ja jetzt, was du brauchst. Viel Glück!" Und der Mann lief weiter, so schnell er konnte.

Er kam in den großen, dichten Wald, und dort erwartete ihn bereits der Wolf. "Nun", fragte er, "was hat Gott gesprochen? Wann werde ich endlich ein Lebewesen zu fressen bekommen?" Der Mann antwortete: "Gott hat gesagt, du musst ein Lebewesen finden, das dumm genug ist, sich von dir fressen zu lassen."

"Oh!" rief der Wolf. "Einen dümmeren als dich finde ich bestimmt nie wieder!" Und er fraß ihn auf mit Haut und Haaren...

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Geht es dir nicht auch so, dass du dich ein Stück weit in der Geschichte wieder erkannt hast? Wie die meisten sehne auch ich mich nach dem Glück, hoffe auf Freude und Fröhlichkeit. Darauf das mir die Liebe begegnet und das es mir materiell gut geht. Das ich gesund bleibe und das mir auch sonst kein Leid geschieht. Doch wie die Geschichte zeigt, reicht es nicht aus vom Glück zu träumen, sondern wir müssen es auch unsere Augen öffnen und bereit sein, es zu sehen, wenn es vor uns steht und es ergreifen und etwas dafür tun.